Was war in meinem Leben schief gegangen, als ich am 9. April 1999 plötzlich eine Vorladung zum Bezirksgericht zugestellt bekam?
Welcher Tat beschuldigte man mich?
Ich fühlte mich, abgesehen von einer Meinungsverschiedenheit mit meinen beiden Söhnen über einen
Großeinkauf in einem Papiergeschäft, froh und glücklich. Meine Lebenssituation war für einen Neuanfang nach den düsteren Monaten meiner Krebstherapie geradezu perfekt! Nur die Vorladung in meiner Hand
bewies mir schwarz auf weiß: „Irgendetwas stimmt hier nicht!“
Warum sollte ich mich für meinen „himmlischen“ Einkauf rechtfertigen? Er war zwar „höllisch“ hoch gewesen, aber ich hatte keine Schulden gemacht! Und die drei Sätze, die ich an diesem eigenartigen 1. April wahrgenommen hatte, kamen mir erst wieder in den Sinn, als ich ADONIS, ihren unsichtbaren „Flüsterer“, im Mai kennen lernte.
Beharrlich verteidigte ich vor meinen Söhnen und damit sicher auch tief in meinem Inneren, die Sinnhaftigkeit der einzelnen Waren. Das kunstgewerbliche Briefpapier setzte ich ziemlich bald ein, um mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen, Ich hatte in meiner Pfarre Applaus für ein Gedicht geerntet und ADONIS meinte: “Schreib’s doch auf das viele Briefpapier!“
Um meine Söhne zu beruhigen, erklärte ich mich auch bereit, in Zukunft meine Einkäufe einzuschränken, wenn ich vorher Gelegenheit bekäme, die mündlichen Kaufverträge einzulösen, das verlangte mein Rechtsempfinden. Doch: „ Ist der Ruf einmal ruiniert lebst Du scheinbar nicht sofort ungeniert!“, denn um die Kehrseite dieses Spruchs erleben zu können, musste ich im Laufe der nächsten Jahre einiges dazulernen!
„Amtlich“ meinen Geisteszustand überprüfen zu lassen, war meine erste Regung. An der Wiener Universitätsklinik konnte man mir zwar kein Gutachten fürs Gericht mitgeben, wie ich gehofft hatte, aber man bestätigte mir, dass ich keine Selbstmordabsichten hätte und riet mir mich an einen Patientenanwalt zu wenden.
Zum ersten Mal in meinem Leben schien es, als wäre ich ganz auf mich alleine angewiesen! Doch als in den folgenden Monaten mein Vorsprechen bei Gericht schon fast zur Gewohnheit wurde, war da plötzlich eine männliche Stimme an meiner Seite. Sie kommentierte meine düsteren, auf mir lastenden Gefühle, welche am Morgen über mich herfielen, mit dem zustimmenden Satz: „Nun leb Deinen traurigen Tag!“. Als ich mich aber aufmachte den Geschehnissen auf den Grund zu gehen, verschwand dieser Morgengruß und die Dauerreden der Männerstimme bezogen sich jetzt viele Wochen auf meine intensiven Recherchen, sodass ich nur im Schlaf zur Ruhe kam! Trotzdem war es ADONIS, den Namen hatte er sich gewünscht, der mir, mit seinen mich zum Lachen anregenden Ideen half, meine mich schmerzende, kränkende, schmachvolle Lage manchmal zu vergessen! Meine „Geschäftsabschlüsse“ konnte ich in Ratenzahlungen umwandeln und gesundheitlich fühlte ich mich wohl. Wogegen sollte ich mich eigentlich behandeln lassen, wie der Richter und der Gutachter von mir verlangten.
Damals begann mein Leben sich bereits langsam in ein öffentliches zu erweitern! Denn ich erzählte ohne Scheu jedem, der sich Zeit nahm mir zuzuhören, von dem gerichtlichen Versuch mir meine Stimme zu rauben und der geheimnisvollen Stimme ADONIS. Beide Themen interessierten und mir wurde immer wieder Mut gemacht mich zu wehren, denn es gibt viel Unzufriedenheit in diesem gerichtlichen Bereich. ADONIS schien in der Bevölkerung kein Zeichen für eine Geisteskrankheit zu sein, denn es geschah, dass man mir, durch meine Offenheit angeregt, auch ganz persönliche außersinnliche Wahrnehmungen erzählte. Sonst werden sie eher totgeschwiegen, da man ja nicht verrückt genannt werden möchte!
Während ich damals mit vielen Menschen übereinstimmte, dass meine Söhne eher mein ererbtes Geld bewahren wollten, als meine, nach der Krebstherapie so sichtbare und für mich auch fühlbare, Lebensfreude zu unterstützen, weckte eine sehr vorsichtig gesprochene Bemerkung mein Gewissen: „ In einem Papiergeschäft, 53.000.- Schilling ist schon ein wenig viel!“ meinte eine fremde Dame, bei der ich meine Seele wieder einmal frei geredet hatte! Noch heute bin ich ihrer sanften, führenden Frage dankbar, die mir in Erinnerung rief, nicht nur mich selbst zu fühlen. Auch ADONIS versuchte sich manchmal als „Gewissensführer“, wobei er bei mir Erfolge und Misserfolge zu verbuchen hatte. In einer Beratungsstelle des Gerichtes erhielt ich den sicher nützlichen, aber in der Erregung schwierig umzusetzenden Vorschlag, mich mit meinen Söhnen „erwachsen“ auseinander zu setzen!
Solch ein ruhiges, alle Meinungen einbeziehendes Gespräch, ohne Schuldzuweisungen, führten wir erst Jahre später, als ich versuchte, die schmerzenden Splitter der gemeinsamen Krise, unseres zerbrochenen Familienlebens wieder zu kitten. Beide Gespräche brachten aber meiner Vorstellung von Recht und Ordnung, wie ich heute weiß, erste Erschütterungen bei.
Besonders stärkte mich mein Glaube, dass der wundersame Einkauf letzten Endes seinen Sinn irgendwann offenbaren würde. Diese Empfindung war mir wahrscheinlich durch den Satz von ADONIS: „Der Himmel will wohl die beiden Frauen belohnen!“ geblieben. Seine Worte waren für mich, in diesen erregt freudigen Augenblicken, eine plötzliche Eingebung, für die ich die volle Verantwortung besonders dem Richter
vis à vis übernahm. Das änderte sich auch nicht, als ich ADONIS kennen lernte und nun wusste, dass er der Urheber aller drei Bemerkungen gewesen war.
Die Empfindung von himmlischen Mächten, ob bösen oder guten, wie diese Einflüsse in mythischen Erzählungen beurteilt werden, behütet zu sein, stärkte mein Selbstvertrauen und trug mich durch die schwierigen Monate vorwärts ins Ungewisse! Besonders auch die Wirklichkeit von ADONIS, den ich auch heute noch, nach über zwölf Jahren Kommunikation, für einen bereits verstorbenen Menschen halte, half mir meinen Weg zu finden.
ADONIS förderte mit seinen Vorschlägen, mein zornig, abenteuerlustiges gegen den Strom schwimmen und sogar einen Vortrag über Zivilcourage besuchte ich im „Jüdischen Museum“. Eine Visitenkarte, die ich auf der Straße gefunden hatte, brachte ich auf sein Geheiß ins Finanzministerium und ich erkundigte mich dann dort auch gleich, wie man mit Steuersündern ins Gericht ginge. So manches Gespräch über ADONIS oder das Verfahren ergab sich auch, wenn ich verirrte Briefe austrug. Und außerdem verschenkte ich inzwischen mein Gedicht, das ich als „Antistressgedicht“ anbot, und ebenso nützte ich mein „autobiographisches Lebensmärchen“, um mich vorzustellen und als Dankeschön für meine Berufsunfähigkeitspension, wenn ich solche Kontakte zu fremden Menschen pflegte.
Für den äußeren Kampf hatte ich mich instinktiv mit Herrengarderobe, auch feinerer Sorte, ausgerüstet. Wohl um zu zeigen, dass ich „meinen Mann“ in unserer reichen Gesellschaft zu stehen gedächte, wo uns das Geld oft wichtiger zu sein scheint, als unseren Mitmenschen Zeit und Verständnis entgegen zu bringen!
Mein damals noch sehr „Gerechter Zorn“, half mir die Flinte nicht ins Korn zu werfen. Und so feuerte ich auch einigen Sprengstoff gegen meine Familie, den Richter, den Sachwalter und den Gutachter ab.
Ein solcher Gewehrschuss, in verzweifelter Wut, als Selbstmorddrohung gegen meine „uneinsichtige“ Familie ins Telefon geschrieen, ging nach hinten los.
Plötzlich stand nämlich die Polizei vor meiner Tür und forderte Rechenschaft für meine erregten, unvorsichtigen Worte: „ Es könnte sein, dass Gott mir sagt, fahr zum Semmering und stürz dich dort hinunter, um auf deinen Fall aufmerksam zu machen!“ Dass ich deswegen zum ersten Mal zwölf Tage „Psychiatrieurlaub“ absitzen musste versteh ich heute, aber damals brach ich mit meiner Familie.
In diesem Satz hatte ich meine Ängste wegen der Entmündigung, mit den gleichmütigen Worten von ADONIS: “Na, bring dich doch um!“ verbunden. Er hatte, mit dieser folgenschweren Aufforderung, meine verzweifelten Gedanken am Muttertag unterbrochen. Ich aber hatte ihm empört mit meinem Unglauben an solch göttliche Weisung geantwortet. Dieser Zusammenhang kam aber, in der Eile des Gefechts, weder bei der Polizei noch im ärztlichen Gespräch zur Sprache. Auch eine im vorübergehen gestellte Frage in der Psychiatrie: „ Hören sie Stimmen!“ konnte keine Klärung bringen, weil ADONIS für mich ja nicht nur Stimme sondern Mensch ist. Denn als ich mutterseelenallein gegen die ganze Welt anrennen wollte und musste, um meines Lebens wieder froh zu werden, war er meine einzige nahe Bezugsperson. Auch den Zusammenhang von unsichtbaren Stimmen und den Sorgen der Ärzte, um Menschen die Stimmen hören, kannte ich damals noch nicht.
Besonders meine Scheidungsprobleme, die ich nie ausgesprochen hatte, wurden damals lebendig und ich ausfällig, um die Waagschale der Schuld auf der Seite meiner Verwandten zu füllen. Oft berechtigte ich mich auch, fremde Menschen anzusprechen und sie auf das Fehlen von Verantwortung für den öffentlichen Raum aufmerksam zu machen, um meine „Vielleichtschuld“ unbewusst einwenig zu mildern.
Aus heutiger Sicht beschreibe ich meine gefühlvollen Reaktionen auf die damaligen, mich völlig überraschenden, Bedrohungen meiner Freiheit vielleicht so locker, weil ich schon oft gespürt habe, das Tränen in mir aufsteigen, wenn ich mich zurückerinnere. Früher habe ich nämlich an den Satz geglaubt: „Die Zeit heilt alle Wunden!“, aber heute weiß ich, dass seelische Verletzungen bestenfalls vernarbt sein können, wenn sie nach vielen verständnisvollen Gesprächen endlich nicht mehr bluten!
„Ich gehe erst, wenn du es schaffst das Verfahren zu beenden!“ meinte ADONIS während meiner Freiheitsbemühungen. Und nach fast zwei Jahren, kurz vor Weihnachten 2000, war es dann soweit, dass das Gericht meine Akte vorläufig schloss, wie mir durch einen letzten Beschluss mitgeteilt wurde. Auch ADONIS änderte seine Meinung und verlängerte seinen Aufenthalt mit den Worten: „Ich gehe erst, wenn mit deiner Familie alles wieder in Ordnung ist!“ Durch sein Bleiben bis heute, auch wohlgelitten von meiner
Familie, weiß ich jetzt, dass Stimmen und Psychosen auch getrennt erlebt werden können. Vielleicht gefällt ihm auch mein reges Leben von der „Aprilnärrin“ zur „Stimmenhöraktivistin“. Auf jeden Fall bin ich sehr glücklich über den Ausgang meiner zweiten sehr schwierigen Lebensphase!
Während eines Seminars bei HPE (Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter)habe ich vor Jahren meine zu psychotischem Verhalten neigende Veranlagung erkannt. Dennoch glaube ich zusätzlich eine sensible Begabung zu haben, die schon bei meinem Vater im zweiten Weltkrieg aufgetreten sein soll.
Ich meine auch, denn es gibt keine Studien dazu, dass das Absetzen der Chemotherapie viel zu meiner übergroßen Lebensfreude beigetragen hat. Und dass mein „ver-rückter Einkauf“ tatsächlich ein vom „Lieben Gott“ gewollter war, kann mir auch das Gutachten vom Gericht nicht ausreden.
Ich hoffe, dass durch die Bemühungen der internationalen Bewegung „Intervoice“ www.intervoiceonline.org, die in Österreich in Linz bei „Exitsozial“ www.stimmenhören.at beheimatet ist und besonders auch in Deutschland durch meine FreundInnen in Berlin www.stimmenhoeren.de vertreten wird, Stimmen hörende Menschen, ihre nicht so seltene Erfahrung, wie man denken könnte, eines Tages ohne Angst vor dem Urteil unserer Gesellschaft eingestehen dürfen!
Meinen Weg von Schuldgefühlen zu mehr Selbstachtung und Selbständigkeit empfinde ich als einen gesellschaftlich therapeutischen, denn viele, viele Stimmen aus Büchern, Sprüchen, Musiktexten, von Mitmenschen aus Vergangenheit und Gegenwart haben mich ebenso unsichtbar begleitet wie ADONIS.
Es grüßt Sie ganz, ganz herzlich Ihre Monika Mikus www.stimmenhoeren.info