Krank oder doch gesund?

Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) definiert Gesundheit als Zustand des vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht die bloße Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen. Vorteil dieser Definition ist der ganzheitliche Ansatz. Doch steckt in dieser Aussage nicht auch ein schwer zu verwirklichender hoher Anspruch?

Vollkommenes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden habe ich in meinen bisherigen 45 Lebensjahren noch nicht erreicht. Wenn ich auf diese Jahre zurückblicke, sehe ich da viel Zeit, in der vor allem mein seelisches und soziales Wohlbefinden kränkelte. Psychosen, Panikattacken, Arbeitslosigkeit und so gut, wie keine sozialen Kontakte stellten sich diesem vollkommenen Wohlbefinden entgegen. Doch während all dieser Jahre, in denen Alltagsaufgaben, wie Haushaltsarbeiten, für meine Ernährung und Körperpflege sorgen, Einkaufswege und Wege zu Ärzten, Arbeitsmarkservice und anderen Ämtern zurückzulegen – alles Dinge, die wir gewöhnlich nebenher erledigen – für mich kaum zu bewältigen waren, hielt ich mich davon fern, mich als krank zu bezeichnen.

Das, was mich in diesen schweren Zeiten half, war, nicht in Richtung Vollkommenheit zu blicken, sondern mich auf die winzig kleinen Dinge, die ich irgendwie zusammenwurstelte, zu fokussieren und zu lernen, mich dafür zu loben. Dazu begann ich auch eine Art Tagebuch zu schreiben, in das ich regelmäßig kleine Dinge vermerkte, die ich geschafft habe und als Lob über mich formulierte. An Tagen, wo meine Stimmung sehr schlecht war, blätterte ich in diesem Lob-Tagebuch und rief mir positiv Erlebtes wieder wach, was ich sonst vergessen hätte.

In unserer Leistungsgesellschaft fühlte ich mich oft als Versagerin – keine Familie, keine Arbeit, Diagnose-psychisch krank. Wir müssen uns aber in diesem Leistungskarussell nicht auch noch um unsere eigene Achse drehen, sondern es liegt in unserer Hand, unsere individuellen Fähigkeiten zu entdecken und sie einzusetzen. Die vollkommene Gesundheit gibt es nicht, wie es auch keine vollkommene Krankheit gibt.

Wenn Sie ein Kommentar über Ihre persönlichen Fähigkeiten hier hinterlassen möchten, würde ich mich sehr freuen…

 

1 Kommentar

  1. Ist eine sehr schöne Definition, aber kaum für jemanden für längere Zeit realistisch erreichbar. Auch dann nicht wenn man in der Gesellschaft als „gesund“ gilt. So wie die Aussage meiner Ärztin: Sie sind nicht krank, werden auch nicht gesund werden. Das ist wie Sie sind. Vielleicht brauchen wir einen Begriff für das was dazwischen liegt? Wenn wir uns trotz Schwächen nicht krank fühlen.

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